Wie sich die Kinderheilkunde von der Allgemeinmedizin als selbständige Disziplin abgespaltet hat, ist auch in der Chiropraktik eine Subdisziplin für die Kinder- und Säuglingsbehandlung
entstanden, die in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat Ein spezieller Patient Ein Kind ist nicht einfach ein kleiner Erwachsener; der Umgang mit ihm erfordert besondere Erfahrung und
grosses Geschick! Man denke nur an die Kommunikationsbarriere: Säuglinge und Kleinkinder können ihre Beschwerden nicht sprachlich umschreiben. Auch die Interpretation der Schmerzempfindung und
-lokalisation kann grosse Schwierigkeiten bereiten. Erfahrung in der nichtverbalen Kommunikation, Geduld und gelegentlich auch beherztes Vorgehen sind unerlässliche Voraussetzungen im
Praxisumgang mit Kleinkindern.
Der Neugeborene-Schiefhals
Fehlhaltungen des Nackens bei Neugeborenen sind relativ häufige Missbildungen, die sich gleich nach der Geburt zeigen. Wird die Störung nicht rechtzeitig behoben, kann sich die Fehlhaltung
irreversibel verfestigen. Oft ist diese Erscheinung mit Missbildungen von Schädel und Fuss, Wirbelsäulenverformungen und Wachstumsstörungen der Hüftgelenke verbunden. Dazu kommen im Verlaufe der
Entwicklung oft weitere zum Teil reversible Störungen, zum Beispiel die verzögerte motorische Entwicklung. Nebst knöchernen Missbildungen der Wirbel oder Verletzungen der Nackenmuskulatur ist die
Verrenkung des Wirbelgelenkes zwischen dem ersten und zweiten Halswirbel die häufigste Ursache des Neugeborenen -Schiefhalses. Diese Störung wird vorzugsweise vor dem dritten Lebensmonat vom
Chiropraktor in einer einzigen Sitzung behoben. Ein laufendes Forschungsprojekt hat gezeigt, dass die chiropraktische Manipulation in diesen Fällen eine äusserst sichere, effiziente und auch
wirtschaftliche Behandlungsmethode ist.
Postinfektiöser Schiefhals
Seltener ist der Schiefhals beim Kleinkind nach fiebrigen Infektionen des Hals- und Rachenraumes: mögliche Erweichungen des stützenden Bandapparates der oberen Halswirbelsäule können groteske
Fehlhaltungen des Nackens nach sich ziehen, die zusätzlich durch Muskelverspannungen fixiert werden. Im günstigen Fall können diese Wirbelverrenkungen und Muskelverhärtungen vom Chiropraktor
behoben werden. Bei ausgeprägten Muskelverhärtungen erfolgt die Mobilisation der Halswirbelsäule in Vollnarkose. Dabei wird die verkürzte Muskulatur gedehnt und die verrenkten Halswirbelgelenke
werden reponiert. Um den Zustand nach dem Eingriff zu erhalten, wird die Halswirbelsäule über zehn Tage mit einem leichten Zug gestreckt. Auch bei diesem komplexeren mechanischen Geschehen führt
die chiropraktische Behandlung zu vollständiger Beschwerdefreiheit.
Chiropraktik für Neugeborene
Unerwartet viele Kinder - über 8 % - werden mit einer Deformation der Halswirbelsäule, einem sogenannten «Neugeborenen-Schiefhals» geboren. Zwei Drittel dieser Fälle sind nicht krankhaft und
heilen bis zum sechsten Monat spontan oder unter herkömmlicher Therapie aus: Physiotherapie und Lagerung vermögen zu helfen. Bei den hartnäckigen Fällen zeigen etwa zwei Drittel gelenksbedingte
Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit, bei einem guten Drittel ist die Fehlhaltung des Halses auf ungleich ausgebildete Muskeln zurückzuführen, bei einem verschwindend kleinen Anteil auf die
Verkürzung des vorderen Halsmuskels. Zwei Drittel der betroffenen Kinder sind männlich, ein Drittel ist weiblich. Keine Rolle scheint zu spielen, ob das Kind auf «normalem» Wege oder mittels
Kaiserschnitt geboren wurde; eher als Ursache anzunehmen ist eine Fehllagerung in der Gebärmutter. Wird die Störung nicht rechtzeitig behoben, kann sich die Fehlhaltung irreversibel verfestigen.
Oft ist diese Erscheinung mit Missbildungen von Schädel und Fuss, Wirbelsäulenverformungen und Wachstumsstörungen der Hüftgelenke verbunden. Dazu kommen im Verlaufe der Entwicklung oft weitere
zum Teil-reversible Störungen, zum Beispiel eine verzögerte motorische Entwicklung. Eine Gruppe von Kinderärzten im Kanton Zürich (ZAPP) hat in Zusammenarbeit mit einem Chiropraktor das Vorkommen
des Neugeborenen-Schiefhalses und die Wirkung der Behandlungsmethoden erfasst. Den chiropraktischen Massnahmen gegenübergestellt hat man das bisher übliche Vorgehen: Physiotherapie, Lagerung und
Abwarten.
Für die Studie sind alle Säuglinge mit einer Fehlhaltung des Halses oder mit einer Gesichts oder Schädelasymmetrie nach ihrem sechsten Lebensmonat in die Fallstudie aufgenommen worden. Die
Patienten mit einer gelenksbedingten Fehlhaltung sind chiropraktisch mobilisiert und im Alter von neun und zwölf Monaten kontrolliert worden. Gezeigt hat sich, dass beim gelenksbedingten
Neugeborenen-Schiefhals die chiropraktische Mobilisation des unteren Kopfgelenkes eine risikoarme Therapieform mit geringem Aufwand ist: Bis auf wenige Ausnahmen genügte jeweils eine einzige
Mobilisierung durch den Chiropraktor, der über entsprechende Zusatzausbildung und Erfahrung verfügen sollte. Diese Erkenntnisse werden bei der Behandlung des Neugeborenen-Schiefhalses in Zukunft
vermehrt genutzt werden. Eine besondere Bedeutung hat dabei die konstruktive Zusammenarbeit mit den Kinderärzten. Denn durch das frühzeitige Erkennen einer Störung und die rechtzeitige Zuweisung
zur Behandlung wird die Prognose der Patienten deutlich verbessert.